In ihrer Sitzung am Freitag haben hat die Konferenz der Landessportbünde sich für eine strategische Neuorientierung des Leistungssports (Nachwuchsleistungssport und Spitzensport) in Deutschland ausgesprochen.

Läuferin, die gerade aus den Startblöcken auf der Tartanbahn sprintet @ iStock

Der Leistungssport in Deutschland braucht eine Trendwende. Das haben die Landessportbünde am Freitag bei ihrer Konferenz in München mit einem Grundsatzpapier einstimmig gefordert und dabei insbesondere die Rollen von Athlet*innen, von Vereinen und des DOSB als zentraler Steuerungsinstanz in den Blick genommen. Der vollständige Beschluss der Konferenz lautet wie folgt:

2016 haben BMI und DOSB ein Konzept zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung (im Folgenden: Leistungssportreform) vereinbart. Ziel war, „den Spitzensport zukünftig erfolgreicher zu machen, Erfolgspotenziale für Podiumsplätze […] zu erkennen und gezielter zu fördern.“ Ausweislich der Ergebnisse bei internationalen Wettkämpfen wurde dieses Ziel bislang nicht erreicht. Im Gegenteil: Der Abwärtstrend in den Olympischen Sommersportarten hat sich von 2016 nach 2021 fortgesetzt. In den Wintersportarten wurde das Niveau verstetigt, wobei sich die Erfolge beim letzten Großereignis 2022 nur noch auf zwei Wintersportverbände (Bob-/Rodel/Skeleton und Ski) verteilten.

Das BMI hat seine Sicht der (Zwischen-) Ergebnisse der Leistungssportreform in einer Vorlage für die Sportministerkonferenz (SMK) im August 2022 festgehalten. Eine systematische Evaluation der bisherigen Reformschritte ist bislang noch nicht erfolgt, im Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen jedoch angekündigt.

Der DOSB hat ein Eckpunktepapier zum Thema vorgelegt. Untergliedert nach sechs Handlungsfeldern werden Sachstand und Handlungsempfehlungen formuliert. Insgesamt wird auf mangelnde Umsetzungserfolge und die Notwendigkeit einer Trendwende verwiesen.

Schließlich hat Athleten Deutschland ein Papier zur Leistungssportentwicklung veröffentlicht. Es verweist unter anderem auf den Mangel an Studien zu gesellschaftlichen Effekten des Spitzensports, es empfiehlt eine Grundsatzdebatte über den gesellschaftlichen Mehrwert des Spitzensports und es mahnt Alternativen zur Erfolgsfixierung der Fördersysteme im Spitzensport an.

Die Konferenz der Landessportbünde begrüßt die mit diesen Papieren ausgelöste Grundsatzdebatte über die Bilanz der Leistungssportreform und die zukünftige Gestaltung des Leistungssports in Deutschland. Sie hält es allerdings für erforderlich, die vorliegenden Diskussionsbeiträge um sehr grundlegende Bewertungen und um eine klar formulierte strategische Perspektive zu ergänzen. Aus Sicht der Landessportbünde sind insbesondere die Sportvereine als entscheidender Ort der Entwicklung von Leistungssportler*innen stärker zu berücksichtigen. Und es bedarf unabdingbar einer Rollenklärung zwischen BMI und DOSB.

Vor diesem Hintergrund regen die Landessportbünde eine Befassung des DOSB und seiner Mitglieder mit folgenden Punkten an:

1. Die direkte Arbeit mit Athleten*innen fördern!

Die Leistungssportreform hat die finanzielle Förderung von Bundeskaderathleten*innen über die Stiftung Deutsche Sporthilfe deutlich verbessert. An denjenigen, die direkt mit Kaderathleten*innen arbeiten, also an den Trainer*innen auf unterschiedlichen Ebenen des Systems, ist der Aufwuchs an Bundesmitteln im Zuge der Leistungssportreform weitgehend vorbeigegangen. Dieser ist aber notwendig, um ein weiterhin zu beobachtendes Abwandern deutscher Spitzentrainer*innen ins Ausland zu verhindern und Deutschland als Standort für ausländische Trainer attraktiver zu machen. Auch die Olympiastützpunkte, die sich unmittelbar um die medizinische, sportwissenschaftliche und soziale Betreuung von Bundeskaderathleten*innen kümmern, haben nicht profitiert und sind mit einem überkomplexen Bürokratieaufwand konfrontiert.

Die künftige Leistungssportförderung muss stärker dort ansetzen, wo unmittelbar mit Athleten*innen gearbeitet wird

2. Die Vereinsbasis und Sport in der Schule als Leistungserbringer fördern!

Die Basis leistungssportlicher Karrieren liegt überwiegend in Sportvereinen. Dies gilt nicht nur für das Erlernen einer Sportart im Kindesalter und für leistungssportliches Training im Jugendalter. Auch für Bundeskaderathleten*innen bleiben ihre Vereine trotz der Unterstützungsmaßnahmen von Stützpunkten, Stiftungen und Verbänden vielfach ein wichtiges leistungsförderndes Element.

Deshalb muss die Leistungssportförderung, die derzeit hauptsächlich auf Strukturen und Maßnahmen von Verbänden und Stützpunkten abzielt, um eine direkte Vereinsförderung erweitert werden.

Es ist für Sportvereine zunehmend nicht mehr attraktiv, explizit leistungssportliche Arbeit (also die Entwicklung von Kaderathleten*innen) zu betreiben. Sie kostet weit mehr als breitensportliche Arbeit, erfordert damit eine Quersubventionierung innerhalb des Vereins und häufig fehlt das notwendige Fachpersonal. Dieser Befund erfährt durch die momentane Energiekrise eine dramatische Zuspitzung. Eng damit im Zusammenhang stehen der Schulsport und die Verbindung von Schule und Sportvereinen in der unterrichtlichen und vor allem außerunterrichtlichen Arbeit im Ganztag.

Es wird ein flächendeckender Ausbau der Zusammenarbeit von Sportvereinen mit schulen benötigt. Dafür müssen die Schulministerien der Länder vor allem an den Grundschulen Sport als Unterrichtsfach und Kooperationsinhalt deutlich aufwerten.

3. Ressourcenverbrauch für Konzepte und komplizierte Steuerungsmodelle reduzieren!

Die Leistungssportreform hat seit 2016 zu einer Flut von Dialogprozessen, Teilkonzepten und Steuerungsmodellen geführt, die sich in Teilen stark von der täglichen leistungssportlichen Arbeit an den o. g. Orten der Leistungserbringung entkoppelt haben. Sie wirken vielfach wie Arbeitsnachweise einer steigenden Zahl von Mitarbeiter*innen auf Bundesebene (sowohl im Sport selbst, als auch auf Seiten des Bundes als Hauptförderer im Spitzensport). Hatte das 2016 vorgelegte Konzept zur Leistungssportreform noch versucht, die unterschiedlichen Systembestandteile des Leistungssports in einem Gesamtzusammenhang zu erfassen, so ist genau diese Gesamtschau in den Folgejahren verloren gegangen. Jüngstes Beispiel ist das Modell zur Steuerung der wissenschaftlichen Unterstützungsleistungen im Spitzensport auf Bundesebene. Die vorgenannten Steuerungsmodelle haben bislang keine Wirkung für den leistungssportlichen Erfolg erzielt, sie verbrauchen zu viel Fördermittel und befördern unrealistische Steuerungsphantasien. Darüber hinaus frustrieren sie mit einer in Teilen grotesken Bürokratie diejenigen Akteure, die sich von der Vereinsbasis bis zum Bundesverband für Leistungssport engagieren.

Die immer stärkere Ausdifferenzierung von Systembestandteilen des Leistungssports mit eigenen Konzepten und Steuerungsmodellen muss beendet werden.

4. Richtlinienkompetenz richtig verstehen und föderale Struktur nutzen!

Die Leistungssportreform propagiert das Prinzip der Richtlinienkompetenz für die Spitzenverbände und den DOSB. Hieraus haben sich in der Folge dysfunktionale Denkmuster im Sinne einer Fiktion von zentraler Steuerung mit einem entsprechenden Personalaufbau auf Bundesebene entwickelt. Es ist jedoch in den meisten Sportarten völlig illusorisch, dass ein Spitzenverband die Arbeit von Trainer*innen bis auf die Ebene von Landesstützpunkten im Detail steuert, so lange diese nicht bei ihm, sondern bei einem  Landesfachverband angestellt sind. Der Sport spiegelt das föderale politische System unseres Landes mit seinen Stärken und Schwächen wider. Es ist nicht zielführend, dies über Steuerungsfiktionen durchbrechen zu wollen, weil damit auch Potentiale der lokalen und regionalen Leistungssportförderung verschenkt werden. Das ist jedoch kein Votum für Beliebigkeit: Die Spitzenverbände werden dringend gebraucht, wenn es um die Entwicklung von Standards geht, wenn es um die Analyse internationaler Entwicklungen ihrer Sportart geht, wenn es um die unmittelbare Arbeit mit Bundeskaderathleten*innen geht und vor allem, wenn es darum geht, ihre Landesverbände und Vereine mit Qualifizierung und Beratung in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Die Spitzenverbände sollten sich insoweit mehr als „Ermöglicher“ und weniger als Steuerer begreifen. Die Potenziale der Sportvereine, der Landesfachverbände, der Landessportbünde und der Bundesländer sind konsequenter zu integrieren.

5. Die Rolle des DOSB im Leistungssport klären und stärken!

Die verbandsinternen Konflikte der vergangenen Jahre haben den DOSB geschwächt und eine klare Definition seiner Rollen im Leistungssport erschwert. Eine Funktion, die von Außenstehenden oft übersehen wird, ist gesetzt: Der DOSB ist das NOK für Deutschland und dementsprechend für die Nominierung, die Entsendung und das Management der deutschen Mannschaften zu Olympischen Sommer- und Winterspielen, Olympischen Jugendspielen und World Games zuständig. Diese Aufgabe ist mit einem erheblichen personellen, logistischen und finanziellen Aufwand verbunden (Games Management). Neben dieser unumstrittenen Rolle steht ein diffuses Bündel an Erwartungen und Aufgaben im Bereich der bundesweiten Leistungssportentwicklung. Hierfür mangelt es an einem gemeinsamen Grundverständnis zur Rolle des DOSB zwischen ihm und seinen Mitgliedern.

Eine mögliche Steuerungsfunktion des DOSB „leidet“ außerdem darunter, dass der DOSB selbst keine Fördermittel vergibt. Diese werden, anders als in vielen Bundesländern, direkt vom Förderer (Bund) an die Leistungserbringer (Spitzenverbände, Olympiastützpunkte u. a.) vergeben. Dem DOSB bleibt damit eine diffuse gutachterliche Rolle, die in der Leistungssportreform 2016 unter anderem mit dem Begriff der „Richtlinienkompetenz“ (siehe auch oben) umschrieben wurde. Die tatsächliche Frage, ob nämlich der DOSB oder das BMI in der Zuweisung von Fördermitteln führend sein sollen, wurde nicht abschließend geklärt. De facto liegt die Entscheidung über die Aufteilung der Fördermittel auf Sportarten/-disziplinen derzeit auf der Seite des Förderers und der DOSB wird lediglich beteiligt. Es fehlt jedoch ein klares Bekenntnis beider Seiten zu diesem (oder einem anderen) Status.

Dabei liegen die vier Modelle (a. DOSB entscheidet, b. BMI entscheidet, c. BMI/DOSB entscheiden gemeinsam, d. zusätzliche externe Instanz entscheidet) inklusive einer Auflistung von Vor- und Nachteilen schriftlich vor. Dass keine klare Entscheidung darüber getroffen worden ist, mit welchem Modell weiter gearbeitet werden soll, hat in den vergangenen Jahren zu Unsicherheit, zu einer Flucht in vermeintlich sichere bürokratische Regelungen, zu doppeltem Personalaufbau (also DOSB und BMI), zu einer kaum zu überblickenden Zahl an Arbeitsgruppenprozessen bzw. Arbeits- und Konzeptpapieren und zu Frust bei vielen Leistungserbringern im System des Leistungssports geführt.

Es ist zeitnah ein klarer Prozess mit dem Ziel der Rollenklärung zu beginnen. DOSB und BMI müssen klären, ob der DOSB künftig eine Entscheidungsrolle bei der Mittelvergabe in der Leistungssportförderung erhalten soll oder nicht. Ein Mehr an Verantwortung für den DOSB ist aus Sicht der Landessportbünde die beste Option und müsste mit einer entsprechenden Zielvereinbarung zwischen dem BMI und dem DOSB einhergehen. Das würde Entscheidungswege verkürzen und die Potentiale des deutschen Sports, eigenverantwortlich für mehr leistungssportliche Erfolge zu sorgen, stärken. Ob die dann entstehende Rolle für den DOSB innerhalb des Vereins DOSB oder in einer ausgegliederten Gesellschaft umgesetzt würde, wäre zweitrangig.

6. Leistungssportförderung konzentrieren!

Deutschland ist wohl eines der letzten oder das einzige Land der Welt, das versucht, in allen Sportarten und -disziplinen eine Spitzensportförderung zu betreiben. Angesichts der stark gestiegenen Zahl teilnehmender Nationen an internationalen Wettbewerben, angesichts der massiven Aufwendungen dieser Nationen für eine oder wenige Sportarten/-disziplinen, angesichts des mit der hohen internationalen Leistungsdichte einhergehenden sinkenden Grenznutzens von zusätzlichen Investitionen in bestimmte Sportarten/-disziplinen und vor allem angesichts der grundsätzlich begrenzten Ressourcen ist dieser Förderansatz grundsätzlich zu überdenken, denn er schließt letztlich eine Erreichung des Ziels der Leistungssportreform aus.

Wenn wir nicht in einer stetig steigenden Zahl von Sportarten/-disziplinen im Weltmaßstab zurückfallen wollen, ist eine Konzentration der vorhandenen Mittel auf weniger Sportarten/-disziplinen unabdingbar – und zugleich ist eine Diskussion über eine Grundförderung für weniger erfolgreiche Sportarten und nicht-olympische Disziplinen zu führen. Das erfordert eine vom DOSB geführte ergebnisoffene Diskussion innerhalb des Sports, mit der Politik und der Öffentlichkeit.

7. Wir bekennen uns zum Leistungsprinzip!

Die Leistungssportförderung in Deutschland hat sich den Maximen des Fair Play, der Beachtung der Würde des Menschen und dessen Unversehrtheit verschrieben. Diese Maximen dürfen aber nicht zu einer Relativierung von Zielen der Leistungssportförderung führen. Leistungssportlicher Output bemisst sich in erster Linie an sportlichen Erfolgen im lokalen, regionalen, nationalen und Internationalen Vergleich. Und diese Leistungslogik erfordert letztlich eine Orientierung der Förderung am Weltmaßstab. Diese klare Orientierung haben wir an vielen Stellen des Systems verloren.

Es gibt einen breiten Konsens im deutschen Sport darüber, dass keine Erfolge um jeden Preis gewollt sind. Gemeinsames Ziel ist ein humaner und manipulationsfreier Leistungssport. Das darf aber nicht dazu führen, dass nur noch vorgeblich Spitzensport gefördert wird, man aber von vornherein ein Verpassen des Weltmaßstabs akzeptiert. Dies sollte nicht unser Leitbild sein und hierzu sollte man sich im DOSB erneut und verstärkend verständigen.